mit B. EBEL I E. SCHMIDT
B. EBEL I E. SCHMIDT
Enno Schmidt: Es finden immer mehr Veranstaltungen zum Ätherischen statt. Du befasst dich seit vielen Jahren mit dem Erforschen des Ätherischen. Warum wird die Auseinandersetzung mit diesem Thema von immer mehr Menschen gesucht?
Birgit Ebel Das Leben selbst will heute ins Bewusstsein kommen. Wir sprechen von Arbeitszeit als Lebenszeit, von Lebensqualität, von der Erde als lebendigem Organismus. Das war früher weniger so. Wir haben stärker ein Bewusstsein, dass dies ‹unser› Leben ist. Das betrifft auch die Sinnfrage als Lebensfrage, nicht bloß als Beiwerk. Wir haben es auch zunehmend mit abbauenden Kräften zu tun: die digitale Welt, globale Bedrohungen. Wo sind die aufbauenden Kräfte zu finden, die verbindenden Kräfte? Die Erarbeitung der Zugänge zum Ätherischen führt da weiter.
Der Mensch hat einen Ätherleib, Pflanzen und Tiere auch. Der Ätherleib ermöglicht das Leben?
Ja. Der physische Leib ist nur das Netz, in das sich die Stoffe einlagern. Da ist kein Leben. Da wäre nichts an Leben. Der physische Leib ist nur der Formleib.
Das Herz würde nicht schlagen ohne ätherisches Kräftewirken?
Das Herz ist das Ätherorgan per se. In den Herzkammern wird das Blut verdichtet und strömt dann mit großer Kraft und Geschwindigkeit durch die Herzkammern aus. Verengung – und: djuup! Das ist ein Ätherisierungsvorgang. In der physischen Gegenstandswelt stoßen wir an Grenzen. Da geht es nicht weiter. Das Prinzip des Ätherischen ist ein Anstoßen, das freisetzt, dass etwas weitergeht. Dieses Anstoßen an einen Widerpart ist in allem vorhanden, was mit Leben zu tun hat. Beim Gehen bietet mir der Boden eine Fläche zum Abstoßen, ein Widerlager und Auftrieb entstehen. Dadurch spüre ich meine 60 Kilo Körpergewicht nicht als solche. Wenn ich einen Zementsack trage, empfinde ich seine 40 Kilo als größere Last.
Der Zementsack hat keinen Ätherleib.
Oder auch in dem Gespräch jetzt. Du bist ein anderer Mensch, du hörst mir zu. Das ist das Gegenüber, das du mir entgegenbringst. Also wieder eine Grenze, ein Anstoßen an das andere. Daran kann etwas frei werden und weitergehen. Alles Leben geht hervor durch Gestaltungsvorgänge des Ätherischen. Das Ätherische ist nicht das physische Prinzip der Addition, der Optimierung und Verbesserung. Es sind die lebendigen Kräfte, die besonders beim Kind wahrzunehmen sind. Es ist die ursprüngliche Ebene, aus der jeder Mensch und jedes Projekt hervorgegangen sind, die sich im Physischen aufhalten.
Dass ich dir zuhöre und dass dann etwas weitergeht, könnte ich auch als seelischen Vorgang oder als Ich-Funktion sehen.
Das ist es auch. Aber es geschieht mittels der Ätherkräfte. Nur mittels der Ätherkräfte kannst du als Ich und als Seele im Körper anwesend sein und agieren. Den Bereich des ätherischen Kräftewirkens für sich zu sehen, ist schwierig, weil er ebendiese vermittelnde Funktion hat. Er ist selbst für sich nichts. Deshalb haben die alten Philosophen nur von Körper, Seele und Geist gesprochen. Das Ätherische, das war irgendwo draußen, das war eigentlich der blaue Himmel. Paracelsus hatte sich gefragt: Was heilt denn eigentlich? Und dabei war er auf diesen Bereich gekommen. Er nannte ihn: Archäus. Auch Wilhelm Reich kam auf diesen Bereich mit seiner Frage, was Leben sei, und in seiner Forschung zu Bionen. Die asiatischen Kampfkünste, Chong-Yong, Tai-Chi, die Philosophie des Yin und Yang, die ayurvedischen Kochkünste bauen auf dem Wissen um ätherische Lebenskräfte auf. Durch Rudolf Steiner, der eine Begrifflichkeit da hineinbrachte, wird das Ätherische als eigener Bereich erkennbar.
Rudolf Steiner hat das Wirken der Ätherkräfte in vier Ätherarten differenziert. Er spricht vom Lebensäther, vom chemischen Äther, von Lichtäther und Wärmeäther.
Der Lebensäther ist das Kräftevermögen, das mich eine Ganzheit erleben lässt. Er ist auch das Kräftevermögen, spüren zu können, dass noch etwas fehlt. Etwas als ganz zu empfinden, als Ganzheit, das ist diese Ätherkraft. Zum Beispiel, sich als Mitglied einer Menschheitsfamilie zu erleben. Rudolf Steiner nennt den Lebensäther auch Sinnäther. Durch ihn empfinden wir Sinn, können Sinnhaftes wahrnehmen. Zum Beispiel hat auch ein Begriff nur dann Leben, wenn er mit dem Ganzen verbunden ist. Sonst ist es nur eine Bezeichnung, aber kein Begriff. Der Begriff kommt ohne den Lebensäther nicht aus.
Wenn ich einen Begriff erlebe, dann erfahre ich darin Lebens- und Willenskraft. Und Sinn. Wenn ich mich auf deine Beschreibung einlasse, dann empfinde ich es als eine Kräftewirksamkeit, dass ich permanent bestrebt bin, in allem Sinn aufzufinden. Ohne Sinn, kein Leben. Kannst du ein Beispiel für den Lebensäther nennen?
Man kann seine Wirkung sehr schön sehen, wo die Äste eines Baumes eine gleichmäßig runde Krone bilden. Das ist die Formkraft des Lebensäthers. Ätherkräfte wirken auch als Formkraft, aber als in sich bewegliche Form, die sich permanent verändert und trotzdem eine Form bleibt. An einem Vogelschwarm kannst du das sehen, ganz deutlich bei den Staren im Sommer. «Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile», sagt Aristoteles. Das ist Ätherwirken. Sobald etwas in die Gestalt gehen soll, benötigen die geistigen Wesen diesen Kräftebereich, um in das irdisch-mineralische Konkrete zu kommen.
Der Lebensäther ermöglicht mir als geistigem Wesen, bis in einen physischen Körper und in eine Wirksamkeit im Irdischen zu kommen?
Ja, sodass du als geistiges und seelisches Wesen mit deiner Empfindung, mit deinem Ichgefühl bis in deine Zehen hinein auf den Boden kommst. Rudolf Steiner nennt ihn auch den physischen Äther. Die Ätherarten wirken jedoch immer alle vier zusammen und gleichzeitig.
Der chemische Äther ist das Kräftevermögen des Differenzierens, des Austausches in einem Gespräch zum Beispiel, des Hineinnehmens und Ausscheidens. Aber nicht als Sympathie/Antipathie, nicht seelisch, nicht als Vorstellung, nicht als Urteil, sondern als Kraftwirken. Steiner nennt ihn auch den Gedankenäther. Er hat mit der Denkkraft zu tun. Zum Beispiel: in den Gedanken eines anderen hineingehen zu können, der dem, was ich selbst denke, widerspricht, den ich ablehne, ihn aber doch denken zu können. Das vollziehe ich mittels dieser ätherischen Kraft. Steiner sagt auch: Denken ist ätherisches Tasten.
Zum Lichtäther würde ich sagen: Das Neue kommt, und das Neue ist nie mit dem Bisherigen bemerkbar. Nimm als Bild eine Lemniskate, die an einer Seite offen ist, aber nicht so, dass ich da rausfliege, sondern anwesend bleibe im Bemerken, dass eine Kraft von außerhalb kommt. Eben, das Neue. Dafür muss ich meine Intentionen loslassen und offen sein für das, was mir entgegenkommt. Lichtäther ist nicht Reaktion, wie wenn den Leuten Essen fehlt, zu meinen, sie brauchen also mehr Essen. Das Ätherische ist nicht ‹auf Aktion folgt Reaktion›. Das Ätherische ist anders als das Systemische. Es ist immer ein Mehr. Es ist ein anderer Griff, der immer mit dem noch nicht Dagewesenen umgeht. Im Gegensatz zum Lebensäther und zum chemischen Äther, die ein inneres Eingangstor haben, hat der Lichtäther ein peripherisches Eingangstor. Da ist ein Umschlagpunkt außerhalb von mir, nicht in mir. Mittels des Lichtäthers komme ich auf ein neues situatives Umgehen mit einem Vorgang. Ich bemerke außerhalb von mir am anderen etwas. Die wahrnehmende Anschauung außerhalb von mir ist der Umschlagpunkt für mein nächstes Handeln, für das, was dran ist. In Stimmigkeit. Wenn ich auf den Menschen schaue im inneren Vorgang, kann ich zu einem Gefühl von Stimmigkeit kommen. Zum Beispiel im Umgang mit Kindern: Was ist stimmig als nächster Schritt, was braucht es, was ist zu tun? Nicht worauf ich Lust habe, was mich nervt, was ich will, sondern: Was ist stimmig? Das ist kein Erkenntnisvorgang, wo ich in einem inhaltlichen Zusammenhang denkend tätig bin, sondern beim Lichtäther kommen Außen und Innen zusammen, gleichzeitig, und daran kann eine Empfindungsqualität entstehen, dass ich bei einem Menschen etwas bemerke. Eine permanente Grenzüberschreitung von mir zum anderen und vom anderen zu mir, wo ich permanent einen Nullpunkt durchschreite.
So ist auch der künstlerische Vorgang. Es geht ständig durch diese Nullpunkte. Anstoßen und freisetzen. Und, ja, das Kriterium ist Stimmigkeit.
In der Kunst findet dieser Vorgang seine Bejahung in sich.
Beim Betrachten eines Kunstwerkes kann man zu dem Erleben kommen: Das ist stimmig. Oder man empfindet etwas als nicht stimmig. Das wäre dann kein Kunstwerk. Stimmig ist nicht das Gleiche wie harmonisch. Ich bemerke mittels des Lichtäthers etwas, das mehr ist, als was man offensichtlich sehen oder sich denken kann?
Du stellst dein Licht zur Verfügung, das die Grenze passieren kann in dem, wie du mit deiner Empfindung zu dem Menschen gehst. Und der andere kommt dir mit seinem Sein entgegen.
Ich stelle meinen Lichtäther zur Verfügung?
Der Lichtäther gibt die Möglichkeit, dass ich zu Erkenntnissen komme. Er ist die Ätherart, mittels der empfindendes Bewusstsein stattfindet. Wenn du sagst, ich stelle meinen Lichtäther zur Verfügung, dann ist das schon ein frei gewordener Teil des Lichtäthers, den du handhaben kannst, also der nicht für den Leibaufbau benutzt wird. Der Ätherleib ist uns gegeben. Der dient dem ganzen Leben, dass es funktioniert. Das ist ein gebundenes Ätherwirken, orientiert auf den Organismus, auf das Zwischenmenschliche, auf alle Lebensvorgänge und das Leben, das wir sowieso leben. Aber seit dem 15. Jahrhundert, so beschreibt es Rudolf Steiner, beginnt der Lebensäther im Menschen sich zu lösen, und beim gegenwärtigen Menschen tritt eine Lockerung ein zwischen Ätherleib und physischem Leib. In diesem Sinne kann man sagen, dass ein Teil des Ätherleibes im Menschen frei wird. So besteht heute die Möglichkeit, dass ich das Wirken der Ätherkräfte nicht nur dem Organismus überlasse, sondern dass ich darin auch agieren und wach darin sein kann. Um agierend und wach darin sein zu können, braucht es das Eingangstor des Nichts. Sonst bleibe ich im Seelischen und im Zentralen, von mir Ausgehenden, in meinem Wissen und Wollen, in diesem Rückbezug.
Eingangstor des Nichts? Ich muss aufgeben, was mich im Gewohnten und im Wollen ausmacht, auch meine Lieblingsüberzeugungen, um das ätherische Wirken nicht mit meinem Seelischen zu überlagern, um es als ein Etwas zu bemerken und sogar darin agieren zu können?
Ja. Und Voraussetzung ist, dass du dir vorher eine Begrifflichkeit erarbeitet hast, damit du über dein Erleben nach dem Nullpunkt überhaupt etwas sagen kannst. Ich vermute, ich könnte mich als Mensch gar nicht halten nach dem Nullpunkt, wenn nicht die Christuskraft, das große Ich vorhanden wäre. Und ohne Michael ist eigene Denkkraft nicht möglich. Der Zugang ist das Ich, das erlebend ist, was nur mit Denkkraft geht. Sie trägt mich durch. Sie ist inhaltslos, und ich muss sie vor dem Nullpunkt erstarkt haben. Diese Denkkraft lässt mich finden, dass da noch etwas ist nach dem Nullpunkt, oder wie Rudolf Steiner es nennt: «in der Nullität».
Eine Denkkraft, die als reine Denkkraft auch im Inhaltslosen bestehen kann, dass ich anwesend bleiben kann?
Da kommen wir schon zum Wärmeäther, der Kraft der Anwesenheit. Nicht der Anwesenheit im Selbstgefühl, in spannenden Themen, sondern Anwesenheit ohne die gewohnte Stütze. Es ist die Kraftwirksamkeit, die mich durchs ‹Nadelöhr› bringt. Wenn ich die inhaltliche Seite alles Erworbenen weglasse, worin ich mich auskenne, alle Professorentitel weglasse, lässt mich diese Kraft anwesend sein, um durch den Schwellenbereich des Nullpunktes ins Ätherische zu kommen. Es ist die Kraft, anwesend sein zu können, auch wenn mir alle Felle wegschwimmen, auch wenn alle mich ausbuhen. Es geht darum, diese Kräfte auch eigentätig auszubilden. Das bildet Substanz. Es geht um das Trainieren anhand der Ätherarten. Im Lebensäther: Sinnhaftes wahrzunehmen, das Ganze, und gleichzeitig auf den Punkt zu kommen. Im chemischen Äther: wahrzunehmen, ob etwas wahrhaftig ist oder nicht. Dabei geht es nicht um Wahrheit im philosophischen Sinne, sondern ob Wahrhaftigkeit in dem ist, was der andere sagt. Zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Im Lichtäther geht es um das Verhältnis von innen und außen, um Stimmigkeit. Zum Beispiel um die Stimmigkeit des nächsten kleinen Schrittes. Stimmig wäre zum Beispiel, dass ich mich als Mensch ganz darin mitnehmen kann. Es ist die innere Kraft, nicht einen größeren Schritt zu machen, als meine Fähigkeiten erlauben. Beim Wärmeäther geht es darum, die Kraft auszubilden, zu sehen, was wesentlich ist, zum Beispiel bei dem, was jemand sagt. Nicht, was notwendig oder richtig ist, sondern was wesentlich ist. Es geht darum, den Unterschied zu finden von Mensch und Nicht-Mensch. Den Menschen als geistiges Wesen erkennen und ansprechen.
Du sagst: Fähigkeiten ausbilden. Und dir ist es wesentlich, das Wirken der Ätherarten in der Natur vom Wirken der Ätherarten im Menschen zu unterscheiden?
Wenn ich nicht bemerke, dass ich Mensch bin, dann ist es auch egal, ob ich Tier, Pflanze oder Mensch bin. Um lebende ätherische Vorgänge zu bemerken, braucht es in mir selbst eigene lebendige Ätherbewegungen. Dazu muss ich Fähigkeiten ausbilden. Wenn du mit diesen Kräften umgehen willst, musst du selbst diese Kräfte sein. Ohne Unterscheiden der Wirkensweisen des Ätherischen in der Natur und im Menschen kann ich das Wesen des Menschen nicht erkennen. Der Mensch ist Logos-organisiert. Seine Orientierung ist vom Logos her.
Die Unterscheidung ist, dass der Mensch freie Ätherkräfte zur Verfügung haben kann?
Die Unterscheidungsfähigkeit zwischen den Ätherarten in der Natur und im Menschen ermöglicht mir, Auferstehung zu denken. In der Natur wirken die Ätherarten mit Notwendigkeit und unbedingt, zum Beispiel in Wachstum, Osmose, Samenbildung, Anpassung an die Umgebung, Hervorbringen von Variationen. Stirbt die Pflanze aus, war es das. Die Natur kommt an ihr Ende. Beim Menschen ist das nicht so. Die Organisation des menschlichen Organismus lässt mittels der Ätherkräfte Freiheit zu und dass Neues in die Welt kommt. Beim Menschen ist alles auf die geistige Möglichkeit hin anzuschauen, auf die ‹Potentia›. Das meint sowohl von der Möglichkeit her als auch von der Ursprungskraft her. Die Entstehung der Erde und des Erden-Menschen begann mit der feinen Äthererde, aus der sich Lebensäther und chemischer Äther herausgebildet haben. Der Lebensäther stand also am Beginn der Entwicklung. Er ist es, der laut Steiner unseren Gedanken Sinn gibt. Sinn ist dem Lebensäther innewohnend. Sinnhaft ist die ganze Erdenentwicklung. Und die Erdenentwicklung ist auf den Menschen orientiert. Der Mensch ist die Ganzheit. Die Natur ist ein Teil. Sie ist Teil der Menschen-Erdenentwicklung. Nicht umgekehrt. Bei Pflanze und Tier kommen alle Ätherarten von außen. Beim Menschen wirken sie von innen und außen. Schaue ich die Organisation des Menschen an, so ist sie gegliedert in untere und obere Ätherarten. Die einen von unten nach oben zentrifugal nach auswärts stoßend, die anderen peripherisch von oben nach unten stoßend. Wo sie aufeinanderstoßen, beginnt das interessante Feld der Freiheit. Die Grenze, wo sie zusammenstoßen, ist ein fluktuierender Wirbel. So organisiert zu sein, bildet eine Grundlage menschlicher Freiheit. An dieser Grenze ist der Mensch wirklichkeitsschaffend. Der Mensch ist der Ort, an dem sich etwas umwendet. Beim Menschen wird durch das Umgehen mit den Ätherkräften alles innerlich. Sobald der Ätherleib es fasst, ist es meins. Beim Menschen wird es inwendig, in der Natur sind es gegebene Ätherkräfte. Da ist kein Nullpunkt. Der Nullpunkt ist entscheidend, wenn ich etwas umwende von Gegebenem zu etwas selbst Geschaffenem.
Ein Schicksalsschlag: Ich komme mit allem Gewordenen nicht weiter. Ich höre auf, mich zu wehren, zu erklären, mich zu bedauern. Ein Moment nichts. Aber anwesend. Mein Blick weitet sich auf eine Ebene, wo mir die Zusammenhänge bewusst werden. Eine andere Wirklichkeitsebene, wo ich gewahr werde, wie ich selbst es zu dem geführt habe, was es jetzt ist.
Das ist eine geistige Wirklichkeitsebene. Das ist ein geistiges Bemerken, ätherisch vermittelt. Die Umwendung ist ein Absehen von sich selbst in der Betroffenheit. Das ist jenes ‹Durch den Nullpunkt›. Das Gewordene zu verlassen für das Individuelle, das einem als Abgrund erscheint. Die Umwendung ist, den Blick vom Getroffen-Sein in ein Außen zu richten im Sinne von Zusammenhang. Durch die Umwendung komme ich in einen Wirkensbereich, den ich als Ätherkräfte identifizieren kann. Der Ort der Wende ist ein schaffender Erkenntnisvorgang. Es ist kein abbildender, deskriptiver Erkenntnisvorgang, sondern ein proskriptiver. Ein solcher Erkenntnisvorgang ohne seelischen Abgrund oder körperliches Drama ist kaum zu denken.
Das Individuelle erscheint als Abgrund. Das empfinde ich als wesentlich.
Der Mensch schafft neu, indem er das Gewordene verlässt. Das kann die Natur nicht. Und so ist das durch den Menschen hervorgebrachte Neue von einer ganz anderen Art, als das sich stets artgemäß Erneuernde in der Natur. Einzig der Mensch hat die Möglichkeit, Äther freizuschlagen. Einzig der menschliche Organismus ist so organisiert, dass freisetzende Äthervorgänge stattfinden. Denn beim Menschen sind nicht alle Äthervorgänge im Organischen gebunden. Freisetzende Lebensvorgänge kennt jeder in der menschlichen Begegnung. Das Freisetzen von Ätherkräften ist die Grundlage für alles Neue und Freiheitliche. Allerdings muss der Mensch es machen. Und er muss es bemerken. «Wär’ ich ein König und wüsste es nicht, wär’ ich ein König?» Wär’ ich ein Mensch und wüsste es nicht, wär’ ich ein Mensch?
Ich bleibe mal auf dem Standpunkt: Die Ätherkräfte wirken sowieso. Wo ist das Neue?
Das Neue ist, dass man realisiert: Ich mache es oder mache es nicht.
Du zielst auf das Bemerken der Ätherkräfte und das Umgehen mit ihnen?
Ich ziele auf den Zugang zum Ätherischen, ja. Es geht darum, dass ein Sinn für Wirklichkeit entsteht. Denn das Vorhandene ist mittlerweile nicht mehr die Wirklichkeit. Die neue Wirklichkeitsebene ist, dass ich es zu tun habe mit etwas, was ich nicht so greifen kann. Das heißt, in der Begegnung mit einem Menschen bin ich nicht mehr beim Inhalt, bei Verhaltensmustern, Urteilen. Darin halte ich mich nicht auf. Sondern ich lasse mich auf das Ätherische ein, wo ich bemerke, was eine neue Substanz schafft. Mittels der Kenntnis des Wirkens der menschlichen Ätherkräfte kann ich die nächste Stufe der menschlichen Entwicklung bemerken: die ätherische Welt. Das Erleben der Ätherkräfte ermöglicht, Mensch und Natur wieder in eine Ganzheit und Einheit zu führen. Inmitten der ätherischen Welt spielt sich die Wirklichkeit ab. Nicht mehr in der physischen Welt. Solange der Mensch sein Selbstbewusstsein ausbilden musste, war die Wirklichkeit in der physischen Welt. Die Zeit ist weitergegangen. Jetzt geht es um Verbindungen im Zusammenklang einzelner Individuen und im Zusammenklang mit der geistigen Welt. Da das Ätherische zugleich Zugang zum Weltenwort und zum Irdischen hat, bildet es ein durchlässiges Gewebe für Geistiges und Irdisches. Wie im Physischen alles mit Vereinzelung zu tun hat, einzelnes Selbstbewusstsein, geht es auf der heutigen aktuellen Schicht um Verbindungen, Zusammenwirken, und um Zusammenklänge innerhalb der zwei Pole, des Irdischen und des Kosmischen. Eine äußere Anschauung der ätherischen Wirkensweisen bleibt exoterisch. Der esoterische Zugang erfordert, dass ich selbst in diesem Kräftewirken darin bin. Das geht ohne Schwelle nicht.
Diese Schwelle scheint unangenehm zu sein, wie ein Todespunkt. Muss das sein?
Bevor das Neue einschlagen kann, bedarf es, dass nicht mit alten Mitteln versucht wird, das Neue zu fassen. Das Neue lässt sich mit Bekanntem nicht bemerken. Und eine gewisse Sicherheit muss hergestellt sein, nicht in Abwegen zu fischen, wo ich die Sache mit Selbstbezug überschatte oder in Umgehung der Lebensprozesse gleich in Anwendungen kommen will. Der Nullpunkt lässt Selbstliebe und Nutzungsabsichten nicht durchgehen. Im Ätherischen habe ich immer mit Tod und Auferstehung zu tun. Das meine ich mit christlich. Wenn ich diese Schwelle nicht aufsuche, komme ich schon auch an ein Ätherisches ran. Aber es gilt, das spezifisch menschliche Ätherische zu finden, das freisetzende christliche Geschehen. Das Nichts als Tor, um in das Äthergeschehen hineinzukommen, ist ein gewisser Garant, dass ich einen Wirklichkeitszipfel erreiche. Denn das ist ja ein kleiner Todespunkt. Der Tod hat mit dem Irdischen zu tun als einzige Wirklichkeit auf Erden, für die es kein Urbild in der geistigen Welt gibt. Wenn ich dieses Prinzip des Irdischen, des Ätherischen beim Menschen, mit dem Realen des Irdischen beginne, mit dem Tod, dann habe ich einen gewissen Garanten, dass ich einen Wirklichkeitsbereich betrete. Daher ist der Nullpunkt unumgänglich. Jede Lebensproblematik hat damit zu tun, an dieser Grenze tätig zu sein, sie nicht vermeiden zu wollen, nicht ausweichen zu wollen, sondern Fähigkeiten zu entwickeln. Ich vermeide den Stein des Anstoßes nicht. Das ist der springende Punkt, das Anstoßen, wo nichts weitergeht. Ich springe, und was weitergeht, bildet eine bestimmte Wirklichkeit.
Das machen Roboter nicht. Wenn Künstliche Intelligenz immer mehr Arbeiten übernimmt, werden wir frei für höhere Herausforderungen. Die Ätherkunde vom Menschen könnte wissenschaftlich aufzeigen, wer wir Menschen sind. Die Menschheit könnte sich ihrer selbst vergewissern. Du hast es auch mal eine ‹Ethik des Lebendigen› genannt.
Das Selbst-Vergewissern ist das eine. Es geht auch um das Handhaben von Kräften am Konkreten. Dass der Mensch merkt: Ich kann selbst aufbauende Kräfte entwickeln, heilende Kräfte, zusammenführende Kräfte. Ich kann selbst in den Bereich kommen, wo Leben stattfindet, wo Aufbau stattfindet, wo Schöpfung stattfindet. Man kann ernst nehmen, was der Mensch für eine Arbeit hat: die Arbeit, auf der Erde anzukommen. Das ist für mich eine moralische Qualität, nicht eine seelische. Früher war Moral Inhalt, seelisch. Heute verstehe ich unter Moral: Ernst machen. Ich würde davon sprechen, dass der Mensch Moralsubstanz erzeugt. Die gesamte Ätherorganisation des Menschen ist vom Ich durchorganisiert. Diese Moralsubstanzen haben als Signum, dass sie Ich-geküsst sind. Zum Beispiel die moralische Qualität der Anwesenheit selbsthaft/selbstlos im Hier und Jetzt mittels des Wärmeäthers. Beim Lebensäther ist es die innere Demut und Verantwortlichkeit, dass ich bereit bin, mich ganz mit den Füßen auf die Erde zu stellen und nicht noch mit einem Zipfel bei den Engeln bleiben zu wollen, wo es so schön ist. Es hat mit Moral zu tun, dass ich eine Aufrichtigkeit meinem eigenen Menschenwesen gegenüber entwickle, dass ich jetzt wirklich auf der Erde bin und mich in die Erdenverhältnisse einordne. Das hat auch mit loslassen von Schönheiten im Geistigen zu tun. Das würde ich als Moral bezeichnen. Wenn ich mit Ätherischem so umgehen lerne, kann ganz anders Geistiges durchwirken. Wenn ich die Ätherarten so in die Hand nehme, innerlich, mir zugänglich, mir erfahrbar mache, hat das auch Relevanz, um das Christuswirken bemerken zu können. Nicht nur als Tatsache, um die ich weiß, nicht nur seelisch im Erleben, sondern weil ich mir diesen Äther bereits zubereitet habe, wo der Christus jetzt wirkt. Das christlich Ätherische ist uns als Möglichkeit gegeben. Es ist immer zu erzeugen.
Der Mensch ist die Möglichkeit.
Der Mensch ist ohne Möglichkeit nicht. «Das Ich ist aus Möglichkeit und Wirklichkeit zusammengesetzter Geist», sagte Themistios, ein Philosoph des 4. nachchristlichen Jahrhunderts.
Wir hatten den Tod. Was ist die Auferstehung?
Weil der Lebensäther seinen Mittelpunkt auf dem physischen Plan hat, hat er das Vermögen, das Ich des Menschen bis in den physischen Leib zu führen. Der physische Leib ist ein Formleib. Wenn die Ich-Form, wenn das Ich dort anstößt, ankommt an diesem Formleib, kann ich in Berührung kommen mit dem Urbild unseres physischen Körpers, dem Phantomleib. Der Phantomleib ermöglicht nicht nur die Wiederanbindung an das Ursprüngliche in seinen verschiedenen Stufen. Er schafft auch im Irdischen die Anwesenheit, damit etwas Geistiges frei wird. Der Phantomleib ermöglicht das auf dem physischen Plan. Ich muss also nicht mehr irgendwie weg von der Erde, sondern auf dem physischen Plan spielt sich Geistiges, Ätherisches ab. Und Auferstehung hat damit zu tun, dass ich die Erde mitnehme. Deswegen Auferstehung im Leibe. Letztlich ist alles mit der Auferstehungsfrage verbunden, die gesamte Menschheitsentwicklung. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Kommt der Mensch in eine Berührung mit und zu einem Verständnis vom Auferstehungsgeschehen? Dieses Verständnis kann nur der Mensch haben. Es ist alles zu denken, auch die Ätherarten, im Hinblick auf Auferstehung. Im irdischen Geschehen, in der Anschauung, was sich gerade konkret abspielt, im Ausgehen vom Konkreten findet das substanzschaffende Geschehen statt. Jede Menschenbegegnung ist der Ort für ein solches Geschehen. Der Ort für eine neue Bausubstanz.
Titelbild Birgit Ebel bei der Mantrenwerkstatt 2024. Foto: Enno Schmidt
Birgit Ebel studierte Eurythmie bei Lea van der Pals und Christoph Graf in Dornach. Sie war Mitglied der Münchner Eurythmiebühne und beteiligt an einem Eurythmie-Tournee-Projekt mit Johanna Roth. Bei Ursula Ziegenbein in Stuttgart studierte sie Heileurythmie und war 16 Jahre lang tätig als Heileurythmistin in Berlin in einer Praxisgemeinschaft mit einem Arzt und einer Psychotherapeutin. Von 2008 bis 2012 war sie Mitglied im Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland und baute dort zusammen mit Susanne Lin den Bereich Kunst und Kunstförderung auf. An der Schauspielschule Basel war sie Dozentin für Bewegung, Improvisation und Eurythmie. Birgit Ebel lebt bei Freiburg im Breisgau.
Enno Schmidt studierte Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main, Ausstellungen im In- und Ausland. Er war Mitbegründer und geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmen Wirtschaft und Kunst – erweitert, Mitwirkender in der Zukunftsstiftung Soziales Leben unter dem Dach der Treuhandstelle der gls-Bank und Lehrbeauftragter am Interfakultativen Institut für Entrepreneurship an der Universität Karlsruhe. 2006 gründete Enno Schmidt zusammen mit Daniel Häni die Initiative Grundeinkommen in der Schweiz, die 2016 zur eidgenössischen Volksabstimmung führte. Von 2019 bis 2024 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Götz-Werner-Professur für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie und Geschäftsführer des Freiburg Institut for Basic Income Studies an der Universität Freiburg. Enno Schmidt lebt in Oberried im Hochschwarzwald.
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