Ein großer Baum, der vielleicht zu Goethes Lebzeiten schon mächtig dastand, mag uns würdevoll erscheinen. Doch ist die zugesprochene Würde hier eine Metapher. Dasselbe gilt für ein Tier, auch wenn es majestätisch erscheint wie ein Löwe. Würde kommt letztlich keinem anderen Wesen als dem Menschen zu. Das heißt nicht, dass Pflanze und Tier nicht schätzens- und schützenswert wären.
Immanuel Kant trifft hier eine präzise Unterscheidung: Alles in der Welt hat einen Wert. Allein der Mensch hat eine Würde. Jeder Wert hat seinen Preis, der Mensch hingegen hat keinen, weil er unvergleichlich und nicht zu verrechnen ist. Natürlich würde das auch mancher Hundebesitzer von seinem Hund sagen, und wir können ihn nur allzu gut verstehen, weil uns ein Tier doch auf seelischer Ebene sehr intensiv berühren kann.
Der Mensch aber ist das einzige Wesen, das mit einer moralisch-praktischen Vernunft begabt ist und sich durch seine Freiheit selbst Ziele setzen kann. In dieser Freiheit darf er selbst nie als Mittel zu einem Zweck gebraucht werden, denn er ist immer schon Zweck in sich selbst. Das ist er, weil er sich als geistiges Wesen inkarniert. Während das Geistige von Pflanze oder Tier in einer anderen Welt bleibt und gewissermaßen über dem jeweiligen Exemplar seiner Gattung schwebt, geht es beim Menschen in seine Leiblichkeit ein. Diese intensive Verbindung ist es, was wir »Inkarnation« nennen.
Ein Tier inkarniert sich nicht. Das heißt nicht, dass es nicht leidet, wenn wir es in Tierversuchen quälen oder in der »Fleischproduktion« misshandeln. Wir haben sogar dem Tier gegenüber eine noch größere Verantwortung, weil ihm – anders als dem Menschen – der Schmerz nicht zu einem Mittel der Vervollkommnung werden kann. Das Tier hat kein Karma, d.h. wir können an ihm nichts wiedergutmachen, und es selbst kann das Leid nicht in etwas Heilsames verwandeln (vgl. R. Steiner: Offenbarungen des Karma, GA 120, 17. 5. 1910).
All das geht nicht, weil beim Tier keine Verbindung zwischen Geist und Leib eingegangen wird. Eben diese Verbindung aber zeichnet die Individualität des Menschen aus, und zwar sowohl in einem einzigen Leben als auch im Laufe von Inkarnationen. In unserem je aktuellen Leben schreibt sie sich in die Gestalt, die Gestik und Mimik, den Blick und den Händedruck ein. Inkarnation bedeutet die lebenslängliche Gestaltung des Leibes als Organ der Verwirklichung der individuellen Freiheit (vgl. R. Ewertowski: Der Leib Gottes, Menschwerdung von oben und von unten, Kap. 7: Im Leib liegt die Freiheit des Geistes, Stuttgart 2017). Deshalb gehen wir auch noch im Tod mit dem Menschen anders um als mit anderen Wesen. Noch der Leichnam gebietet Respekt. Während wir einen toten Baum oder auch ein totes Tier »verwerten« dürfen, widerspricht es beim Menschen der Würde seiner Inkarnation über den Tod hinaus, ihn zu einem Mittel zum Zweck zu machen.
Ruth Ewertowski
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